Das RSO Wien spielt Gottfried von Einems "Der Besuch der alten Dame"
Eine Geistesschwester von Michael Kohlhaas ist sie, diese Claire Zachanassian: Ihr Verlangen nach Gerechtigkeit zwingt sie in ein Leben lang, jeglicher Empathie zu entsagen, die Männer zu wechseln wie sündteure Handtaschen, um schließlich mit einem finsteren Racheplan wider das Vergessen in ihrer Geburtsstadt Güllen aufzutauchen. Der verarmten Gemeinde verspricht die steinreiche Industrielle eine Milliarde, wenn der Kaufmann Alfred Ill, der sie vor 45 Jahren geliebt und verraten hat, stirbt. Friedrich Dürrenmatt hat 1956 den "Besuch der alten Dame" auf die Theaterbretter gebracht und damit eine allzeit gültige Parabel auf die Brüchigkeit moralischer Maßstäbe in einer von Geld regierten Gesellschaft geschaffen. Der Komponist Gottfried von Einem gewann den Dichter dazu, seine Tragikomödie für ein Libretto zu kondensieren. 1971 erblickte von Einems Oper in der Wiener Staatsoper das Licht der Welt (inszeniert von Otto Schenk, gesungen von Christa Ludwig), zum 100. Geburtstag des Komponisten erklingt das Werk am Theater an der Wien, gespielt vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Michael Boder.
Einführungsmatinee 11.03.2018, 11.00 Uhr
Theater an der Wien
Gottfried von Einem gehörte zu Lebzeiten zu den erfolgreichsten Opernkomponisten der Gegenwart. Das Genre der "Literaturoper" – die geradlinige Vertonung eines literarischen Stoffes – sieht sich seit den 1960er Jahren vom konkurrierenden Konzept eines assoziativen, collagehaft verschiedene Textebenen überlagernden Erzählens auf der Opernbühne herausgefordert. von Einem vertrat dagegen die alte Schule: Seine wichtigsten Werke sind "Dantons Tod" nach Büchner, mit dem er 1947 bei den Salzburger Festspielen weltweit Aufsehen erregte, "Der Prozeß" nach Kafka, den das RSO Wien bei den Salzburger Festspielen 2018 aufführen wird, Schillers "Kabale und Liebe" und Nestroys "Der Zerrissene". In "Der Besuch der alten Dame" fügt seine Musik dem Schauspiel emotionale Facetten hinzu, ohne die Kälte des Librettos zu ummänteln. Im Gegenteil: Wo der Gesang schwärmt, schrammt er so haarscharf an einer Opernparodie vorbei, dass ihr sarkastischer Zungenschlag umso deutlicher wird. Dort, wo von Einem mit rhythmischer Prägnanz begleitet – Kunststück für einen Schüler Boris Blachers! –, tritt Dürrenmatts Aggressivität umso deutlicher an die Oberfläche. Und nicht umsonst beginnen viele Szenen mit tonlosem kaltem Schlagzeug. Insgesamt eine Oper, die der zeitlosen literarischen Vorlage in nichts nachsteht.
Ö1-Übertragung
17.03.2018, 19.30 Uhr
Der britische Regisseur Keith Warner, der vor allem als Wagner-Interpret Furore machte, hat im Theater an der Wien Weills "Die Dreigroschenoper" und zuletzt Henzes "Elegie für junge Liebende" inszeniert. Er verspricht eine Antwort auf die "Welt des Trump-Towers, das Brexit-Land, den Merkel-Staat, das Macron-Ville und das Kurz-Land". Die weibliche Hauptrolle wird von der Schwedin Katarina Karnéus gesungen, die seit einigen Jahren in New York und London gefeiert wird. Am Pult des RSO Wien steht Michael Boder, mit dem das Radio-Symphonieorchester zuletzt Anno Schreiers "Hamlet" im Theater an der Wien aus der Taufe hob und mit dem es im August 2018 das Abschlusskonzert beim Beethovenfest Bonn spielen wird. "Der Besuch der alten Dame" ist nicht das letzte Wort des RSO Wien zum 100. Geburtstag Gottfried von Einems, aber es wird nicht so bald vergessen werden.
Christoph Becher
Aufführungstermine:
16./18./20./23./26./28.03.2018, 19.00 Uhr, Theater an der Wien
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