Meister, Hardenberger / Mozart, Neuwirth, Strawinsky
Håkan Hardenberger |
trumpet
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Cornelius Meister |
conductor
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Ein Kaleidoskop von fragmentarischen Weltsichten scheint der Titel des Trompetenkonzertes »miramondo multiplo« von Olga Neuwirth zu suggerieren. Aber beginnen wir mit einem Eintrag in einem Internetforum:
»Das Publikum rätselt: mirare -> ansehen, mondo -> Welt, multiplo -> vielfach. ›Vielfache Weltansicht‹ klingt zwar komisch, aber naja …«. Helfen würde der Übersetzungsversuch »Die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten«, aber vielleicht sollte man vorerst den Versuch einer korrekten Übersetzung des Phantasietitels lassen und sich über den Assoziationsreichtum freuen, der einem mit der Bedeutung seiner Bestandteile möglich wird. Und schon ein zweiter Blick auf das Stück und die Titel seiner fünf Sätze führt tiefer, als in ein unbekümmert zu betrachtendes Kaleidoskop. Fünf »Arien«-Titel wie »aria della memoria«, »aria del sangue freddo« oder »aria della pace« deuten an, dass hier Erinnertes zum Motor für Reflexion über eine mögliche Zukunft wird. Solch produktive Erinnerungsarbeit kann schön sein, aber auch schmerzvoll. An beidem ist in Olga Neuwirths Trompetenkonzert kein Mangel. Oft hat Olga Neuwirth erzählt, wie sehr sie darunter gelitten hat, durch einen Unfall an der Fortsetzung des Spiels der geliebten Trompete gehindert worden zu sein. Erinnerung an ehemals Mögliches, unmöglich Gewordenes und doch kreatives Potenzial an anderer Stelle Freisetzendes klingt schon in dieser biographischen Konstellation der Komponistin dieses Trompetenkonzertes an. Hörbar grundlegende Erinnerungen, die das komponierte Gewebe dieses Konzertes durchziehen, reichen vom Klang der Trompete des Miles Davis über die Musik denkprägender Komponisten wie Gustav Mahler, Alban Berg und Olivier Messiaen zur Reflexion über Ikonen musikalischer Schönheit wie Händels »Lascia ch’io pianga«. Nicht einfach das kaleidoskopartige Verweben von Vergangenem und Eigenem aber macht das Besondere dieses Konzertes aus, sondern das Generieren einer möglichen zukünftigen Musik aus all diesen Erinnerungen und Erinnerungsfetzen. Selbstverständlich aber ist nicht nur das Komponierte ein intrikates Spielen mit der Tiefenschärfe multipler Gefühle und produktiver Erinnerungsmöglichkeiten. Auch dem Hören dieses Stücks stehen dieselben mannigfachen, multiplen Hör- und Interpretationsmöglichkeiten offen. Man kann dieses Stück in fünf Sätzen auch als eine Abfolge von fünf aufeinander bezogene Kurzgeschichten hören. Auf einen aufbrausenden ersten folgt ein wehmütiger zweiter Satz. Ein kühler, harter dritter Satz steht vor dem »Auf der Suche nach der verlorenen Schönheit«-Satz Nr. 4, um dann in das heftige Finale des fünften und letzten Satzes zu münden. Das Bemerkenswerte an entscheidenden Werken liegt genau in diesem Potenzial zur Öffnung von Wahrnehmungswelten, wie sie auch in dieser multiplen Wunderwelt der Olga Neuwirth zu Klang wird. Der Philosoph Heinz von Foerster kondensierte dieses Ansinnen in seinen »Ethischen Imperativ«: »Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird«. Das Hören des Trompetenkonzerts »miramondo multiplo« von Olga Neuwirth fordert geradezu auf, diesem Imperativ zu folgen.
Historisch betrachtet hat kaum ein Stück diesen Foersterschen Imperativ zur Erhöhung der (ästhetischen) Wahlmöglichkeiten für die Musikgeschichte produktiver zur Anwendung gebracht, als Igor Strawinskys »Le sacre du printemps«. Anfangs allerdings sah es kurzfristig nach dem Gegenteil aus, nach einer desaströsen Reduktion zukünftiger Möglichkeiten. Die Gründungsikone des modernen Balletts entfacht 1913 in Paris einen Skandal: Vaslav Nijinsky zeichnet für die Choreographie verantwortlich Igor Strawinsky liefert mit »Le sacre du printemps« die radikale musika lische Vorgabe. »Ich möchte«, schreibt Strawinsky in einem Brief 1912, »dass mein Werk das Gefühl der engen Verbundenheit der Menschen mit der Erde, des menschlichen Lebens mit dem Boden vermittelt.« Genau das nimmt Nijinsky so skandalös ernst und lässt die Tänzer über den Boden stampfen, wilde, abrupte Bewegungen vollführen und die »Bilder aus dem heidnischen Russland« zu einem erdigen Stammesritual werden. »Beim ›Sacre‹ wurde ich von keinem System irgendwelcher Art geleitet«, betont Igor Strawinsky im Hinblick auf die vielen unvorhersehbaren Wechsel und überraschenden rhythmischen Wendungen dieser Musik, »Ich hatte nur mein Ohr als Hilfe. Ich hörte; und ich schrieb, was ich hörte.« »Anbetung der Erde« heißt der erste, »Das Opfer« der zweite Teil. Zu Beginn stellen sich die Pro tagonisten vor und auf die »Vorboten des Frühlings – Tanz der jungen Mädchen« folgen später »Spiele der rivalisierenden Stämme«, eine »Prozession der alten Weisen« und zuletzt ein wilder »Tanz der Erde«. Im zweiten Teil mündet die »Verherrlichung der Auserwählten«, also der zu opfernden Jungfrau, schließlich in das finale und letale »Opfer«.
(CS)