Webers "Euryanthe" mit dem RSO Wien im Theater an der Wien
Der durchschlagende Erfolg des "Freischütz" setzte seinen Schöpfer gehörig unter Druck. Während, wie Heine bezeugte, in Europas Musikmetropolen der "Jungfernkranz" von den Dienstboten geträllert wurde, brütete Carl Maria von Weber über einem Nachfolge-Werk. Dresden hatte bereits eine Oper bestellt, da erhielt er im Herbst 1821 einen Auftrag vom Wiener Kärtnertortheater, für den er alles stehen ließ. "Euryanthe" sollte es sein, ein Liebesdrama rund um zwei Paare, die taumelnd zwischen Liebe und Verrat, zwischen Intrige und Irrtum, zwischen Eifersucht und Treue das Leben in eine Hölle verwandeln. Im Libretto von Helmina von Chézy, das auf einem französischen Epos aus dem 13. Jahrhundert fußt, hat Vernunft keine Stimme. Doch so ist Oper: Jeder Arie wohnt die Entgrenzung inne. Da wusste sich Weber in bester Gesellschaft.
Der Komponist saß trotzdem in der Zwickmühle. Zwar durfte er keine Kopie des "Freischütz" abliefern, aber eine neue Wolfsschlucht, einen neuen Jägerchor und Jungfernkranz erwartete sein Publikum durchaus. Und so gibt es in "Euryanthe" immer wieder Szenen, die dem "Freischütz" Referenz erweisen: den Chor der Jäger, die in öder Felsenschlucht die lebensmüde Titelheldin auflesen, oder ausgedehnte Gruselszenen, in denen sowohl das Familiengeheimnis von Adolar, Euryanthes Bräutigam, anklingt, als auch die Intrige von Eglantine, die gemeinsam mit Lysiart das junge Glück vernichten will.
Wer bei diesen wenigen Stichworten an "Lohengrin" denkt, ist auf der richtigen Spur. "Euryanthe" ist durchkomponiert, Erinnerungsmotive ziehen sich durch die Oper, einen Hochzeitsmarsch gibt es wie auch eine Verschwörungsszene des finsteren Paares. Wagner griff ohne Scheu auf Weber zurück, zumal die Musik in "Euryanthe" zum Besten gehört, das Weber komponierte. Noch René Leibowitz, Schönberg-Schüler, Zwölfton-Anwalt und einflussreicher Dirigent, schwärmte von der "dramatischen Wucht, der erstaunlich ausdrucksvollen Kraft der Deklamation und der gesanglichen Linien".
Nach der vom Komponisten am 25. Oktober 1823 dirigierten Uraufführung in Wien feierte vor allem das Publikum in Dresden und Berlin die "Euryanthe". Für die aktuelle Produktion am Theater an der Wien, das dem Komponisten heuer einen Schwerpunkt widmet, übernimmt die Regie wieder Christof Loy, mit dem das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wiederholt zusammen gearbeit hat – zuletzt bei Anno Schreiers "Hamlet" wie auch bei der preisgekrönten Inszenierung von Brittens "Peter Grimes".
Auch einige der jungen Sänger sind dem Wiener Publikum aus diesen Produktionen bekannt, so die deutsche Mezzosopranistin Theresa Kronthaler (Eglantine), die in "Hamlet" eine Aufsehen erregende Ophelia verkörperte, und Andrew Foster-Williams (Lysiart) aus "Peter Grimes". Die Titelheldin wird von der Amerikanerin Jacquelyn Wagner gesungen, die seit ihrem Durchbruch 2013 auf allen großen Bühnen der Welt auftritt und als Arabella in Amsterdam – ebenfalls unter der Regie von Christof Loy – Publikum und Kritik begeisterte. Ihr Landsmann Norman Reinhardt (Adolar) stand bei den Salzburger Festspielen als Toni neben Cecilia Bartoli in der "West Side Story" auf der Bühne. Nach der spektakulären "Ring-Trilogie" im vergangenen Dezember leitet Constantin Trinks erneut das RSO Wien.
Christoph Becher