Meister / Dvořák
nach der Dichtung v. Karel J. Erben (tsch. -dt.-engl.)
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Sopran
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Der Tote
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Adam Plachetka |
Der Erzähler
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Wiener Singakademie | ||
Cornelius Meister |
Dirigent
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Die Geisterbraut
Der Titel führt in die Irre – soll heißen der englische, von welchem sich der deusche ableitet: »The Spectre’s Bride«. Aber was hätte das Londoner Publikum, für welches Dvořák diese Kantate 1884 geschrieben hat mit »Svatební košile« anzufangen gewusst? Nun ja, es wäre zumindest nicht auf falsche Spuren geführt worden. Denn: eine Geisterbraut wird die junge Frau in der vom böhmischen Meister vertonten Ballade des Karel Jaromír Erben ebendieses Titels nicht. Dies deswegen, weil sie etwas Handfestes davor bewahrt, etwas, das ihr lange Zeit Hoffnung gibt und letztendlich Rettung gewährt vor dem Zugriff des Gespenstes – das wäre übrigens die eigentlich korrekte Übersetzung von »spectre« – »Svatební košile« – das hochzeitliche Hemd, an welchem sie näht und in welches sie Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen und ihre Liebe einarbeitet. Es ist eine grausige Geschichte, verbreitet in vielen Sprachen und Kulturen Europas, im Deutschen klassisch aufgearbeitet in der Ballade »Lenore« des Gottfried August Bürger: der Bräutigam geht noch einmal in die »Welt« ehe er sich bindet, doch dort geht er verloren – und kommt als Gespenst zurück zu seiner Verlobten. Es ist die menschliche Urangst vor dem Wiedergänger, welche sich die Völker erzählten, um sie zu bewältigen.
Karel Jaromír Erben und Antonín Dvořák entfesseln denn auch auf ganz persönliche Weise mit ihrer Kunst das Gräßliche und Bedrängende. Der zurückkehren wollende Bräutigam lässt für seine Braut – die zu Fuß neben ihm herlaufen muss – nichts aus, um ihrer habhaft zu werden um den
Preis eines höchst fraglichen wiedergängerischen Weiterlebens. Dichter und Komponist sind aber in ihrer Ausdeutung romantisch-humanistisch geleitet. Erben, der Historiker und Archivar sowie Sammler von literarischen Erzeugnissen des tschechischen Volkes war, suchte in den Bearbeitungen der überlieferten Stoffe zumal die Aspekte des menschlichen Verhaltens zwischen Mann und Frau und die Frage nach Schuld und Sühne herauszuarbeiten.
So gelingt es ihm auch im Falle von »Svatební košile« – ganz im Gegensatz zum »klassischen« Bürger in der »Lenore« –, die Braut vor dem Unheil gerettet zu sehen. Standhaftigkeit und letztendlich ein von der Liebe bestimmtes Gebet verhindern es, dass sie die »Geisterbraut« wird. Es ist also ihre eigene Fähigkeit, im entscheidenden Augenblick Richtiges zu tun und so wird sie
nicht hinuntergewirbelt in den Strudel des Todes, weil sie sich mit ihren liebenden Worten zu Gott hinwendet. Erben gab seine Sammlung von Märchen und Geschichten seines tschechischen Volkes unter dem Titel »Kytice z pověstí národních« = »Ein Blumenstrauß aus Volkserzählungen« heraus.
Dieser Titel sollte mit seiner Blumenmetapher nicht nur das Blühen der tschechischen Volksfantasie ausdrücken, sondern gleichermaßen auf die Blüten der Erkenntnis, welche das Volk aus diesen Geschichten zieht, hinweisen. In dieser Geisteshaltung ist ihm Dvořák gefolgt. Auch wenn er dem Bösen, dem Grauenvoll-Hässlichen als Komponist keineswegs ausweicht – und es steht ihm da eine breite Palette zur Verfügung, Assoziationen zu einschlägigen Meisterwerken wie Schuberts »Erlkönig« mit inbegriffen – aber dies dient nur zur »objektiven« Darstellung des Sündhaften, das keine persönliche Ausdrucksweise hat, sondern sich stets derselben Mittel bedient. Nur die Treue, die Hoffnung, der Glaube und die Liebe haben einen persönlichen Ton, und den lässt uns der Komponist ganz deutlich hören, wenn seine »Braut« singt.
(Johannes Leopold Mayer)