Portrait Wynton Marsalis
Selina Ott |
trumpet
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Jazz at Lincoln Center Orchestra |
orchestra
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Marin Alsop |
conductor
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Joe Martinez
1983 sorgte ein blutjunger US-Amerikaner für eine Sensation in der Musikwelt. Noch nie hatte nämlich jemand in ein und demselben Jahr Grammy Awards in den Sparten der klassischen Musik wie auch des Jazz gewonnen. Doch dann kam ein gewisser Wynton Marsalis, gerade 22 – und schrieb Geschichte mit seinem Platten-Doppel »Think of One« und einer Aufnahme großer Trompetenkonzerte von Haydn, Hummel und Leopold Mozart. Wie um sicherzustellen, dass diese symbolkräftige Tatsache kein Zufall und schon gar kein Irrtum gewesen war, kam es 1984 wieder zur gleichen Konstellation: Diesmal wurde »Hot House Flowers« mit dem Grammy als »Best Jazz Instrumental Solo« ausgezeichnet, und für virtuose Barockmusik mit Edita Gruberová gab es neuerlich den Preis als »Best Instrumental Soloist Performance (with orchestra)«. Der deutsche Jazz-Experte Joachim-Ernst Berendt jubelte: »Seit Dizzy Gillespie ist die Trompete im Jazz nicht mehr mit einer solch luziden instrumental-technischen Meisterschaft geblasen worden wie von Wynton Marsalis«. Und Maurice André, unangefochtener Star der klassischen Trompete seit den 1960er-Jahren, teilte mit, Marsalis sei »möglicherweise der größte Trompeter aller Zeiten«.
Marsalis’ grenzüberschreitendes Konzept von Musik, bei dem er dennoch stark auf die »originalen« Wurzeln der jeweiligen stilistischen Einflüsse Bezug nimmt, hat längst auch zu größeren Werken mit Orchester geführt. Für zwei davon plädieren an diesem Abend Marin Alsop und das ORF RSO Wien. Etwa für die kapitale Symphonie Nr. 4 von 2016, genannt »The Jungle« – und es ist nicht schwer zu erraten, welcher Dschungel damit gemeint ist: »New York City ist die veränderlichste, unter dem größten Druck stehende und umfassendste Großstadt, die es je gegeben hat«, sagt Marsalis – und fasst in sechs Sätzen die verschiedenen Facetten der Stadt in Töne. Doch auch sein neues Trompetenkonzert ist ein groß angelegtes Werk. Entstanden ist es für Michael Sachs, den Solotrompeter des Cleveland Orchestra, und wurde von ihm 2023 in Cleveland unter Franz Welser-Möst uraufgeführt.
In einem riesigen musikalischen Schmelztiegel bringt es so gut wie alle Stile und Einflüsse zusammen, die dem Komponisten wichtig waren und sind. Eine wunderbare, umfassende Herausforderung für Österreichs junge Startrompeterin Selina Ott.
Walter Weidringer