Eröffnungskonzert Wien Modern
Tripelkonzert für Horn, Trompete, Akkordeon und Streichorchester
für 88 im Publikum verteilte Musiker:innen
für großes Orchester in drei räumlich getrennten Gruppen
Christoph Walder |
horn
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Anders Nyqvist |
Trumpet
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Krassimir Sterev |
Akkordeon
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Marin Alsop |
conductor
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Nancy Horowitz
Der Mythos, Neue Musik sei schwierig, schwer vermittelbar, elitär, unzugänglich und nur für eine eher überschaubare Gruppe spezieller Nerds interessant, lässt sich mehr oder weniger präzise bis zu Momenten wie dem berühmten »Skandalkonzert« im Wiener Musikverein 1913 oder dem »Verein
für musikalische Privataufführungen«, mit dem 1918 in Wien Aufführungen Neuer Musik »dem korrumpierenden Einfluss der Öffentlichkeit entzogen« werden sollten, zurückverfolgen. Mit anderen Worten: Dieser Mythos hat einiges mit Arnold Schönberg zu tun, und dieser Mythos ist bereits sehr, sehr alt. Das Festival Wien Modern mit seinen zehntausenden Besucher:innen pro Jahr ist der perfekte Rahmen, um sich für dieses uralte Klischee ein aktuelles Update zu holen. Deswegen stellt das Festival 150 Jahre nach Schönbergs Geburt das von Mythen, Klischees und Gerüchten umrankte Verhältnis zwischen Neuer Musik und Publikum in den Mittelpunkt. Vom 30. Oktober bis zum 30. November 2024 laden vielfältige Klein- und Großformate an unterschiedlichsten Orten in ganz Wien zum persönlichen Erleben und Ausprobieren ein.
Die Eröffnung mit dem ORF RSO Wien macht zunächst einmal Schluss mit der klassischen räumlichen Trennung zwischen Bühne und Publikum: Mit seinem selten zu erlebenden radikalen Werk »Terretektorh« hat der Komponist und Architekt Iannis Xenakis vor knapp 60 Jahren ein ohrenöffnendes Hör- und Raumkunstwerk geschaffen. Teil der Partitur ist eine 360°-Raum¬kon-zeption, die 88 Orchestermusiker:innen und das Publikum miteinander vermischt und zusammenrückt. Marin Alsop steht dementsprechend beim letzten Wien-Modern-Eröffnungskonzert unter ihrer Leitung als RSO-Chef¬dirigentin mitten im Großen Saal des Wiener Konzerthauses. Von dort aus steuert sie auch die über das Publikum hin und her rollenden Klangwellen der Raumkomposition »Become Ocean«, für die John Luther Adams vor zehn Jahren mit dem Pulitzer Prize und dem Grammy Award ausgezeichnet wurde. Die Gewinnerin des Erste-Bank-Kompositionspreises 2024, die 1982 in Slowenien geborene Nina Šenk, erweitert für diesen Festivalabend das ungewöhnlichste ihrer großartigen Orchesterwerke. Eines haben die drei sehr verschiedenen Werke jedenfalls gemeinsam: Den Mythos, Neue Musik sei schwer vermittelbar, unzugänglich und so weiter, lassen sie sehr, sehr alt aussehen.
Bernhard Günther