Meister, Kavakos / Cherubini, Auerbach, Zemlinsky
nach einem Märchen von Hans Christian Andersen
(revidierte Fassung)
Leonidas Kavakos |
violin
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Cornelius Meister |
conductor
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Kavakos

Es muss wahrlich nicht leicht gewesen sein, zur Jahrhundertwende ein Werk in die Welt zu setzen, ohne sich damit selbst einen Stempel aufzudrücken. Zu groß waren die Gräben zwischen den Traditionalisten und den »Neu-Tönern«, deren unterschiedliche Auffassungen durchaus zu Streitigkeiten führen konnten. Hielt man es nun mit den Anhängern formaler Tradition oder mit jenen der programmatischen Erzählkunst? Alexander Zemlinsky entschied sich, keinen der Wege einzuschlagen und doch beide zu berücksichtigen. Als Untertitel seines 1903 entstandenen Werks »Die Seejungfrau« wählte er eine Bezeichnung, die die Sache im Dunkeln ließ: eine »Phantasie für Orchester« war weder Symphonie noch Symphonische Dichtung. Und hatte trotz allem ein literarisches Werk zur Grundlage, nämlich ein Märchen Hans Christian Andersens. Die Geschichte rund um die junge Seejungfrau, die einen Prinzen vor dem Ertrinken rettet und aus Liebe zu ihm menschliche Gestalt annimmt, würde sich förmlich anbieten für eine programmatisch-lautmalerische Gestaltung. Wenn sich die Seejungfrau am Ende wegen der enttäuschten Liebe in Schaum verwandelt und vom Wind in die Lüfte getragen wird, wird die Sache jedoch bereits komplexer. Eine »Sauarbeit« sei es, den Sturm am Meer zu komponieren,»wenn man nicht billig und gemein sein will«, schrieb Zemlinsky an seinen Kollegen Arnold Schönberg in Hinblick auf die Gefahr, in seiner Musik allzu banal zu werden und lediglich eine musikalische Schilderung der Handlung auszuführen. In der Tat gelingt dem Komponisten diese Abwehr der Banalität, indem er zum Schluss mehr sphärisch als erzählerisch das verklärte Glück der glücklosen Seejungfrau zum Ausdruck bringt. Alles andere als banal sind auch jene Assoziationen, die die russisch-amerikanische Komponistin Lera Auerbach zum Entwurf ihres 4. Violinkonzerts »NYx: Fractured Dreams« führten. Im Zentrum steht der Gedanke des Träumens – eine Annäherung an die Zeit, wenn im Traum Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verfließen. In kompositorischer Hinsicht schuf Lera Auerbach dies durch die Aneinanderreihung mehrerer Sequenzen, die in Summe eine von Träumen durchsetzte Nacht entstehen ließen – mit all den Visionen und Abgründen, die diesem Zustand nahestehen. Der Titel bezieht sich auf die griechische Göttin der Nacht Nyx, deren erste zwei Buchstaben gleichzeitig die Stadt New York bezeichnen – die »Stadt der Träumer«, wie die Komponistin ihre Wahlheimat bezeichnet. Zur griechischen Göttin der Nacht führt zum Auftakt der griechische Gott der Liebe in Luigi Cherubinis Oper »Anacreon«. Wenn Amor seine Finger im Spiel hat, kann sich auch der von der Zeit gezeichnete Lyriker Anacreon der Liebe seiner jungen Muse Corine sicher sein.
Eva Teimel