Schiff, Poltéra / Lutoslawski, Schubert
| Christian Poltéra |
cello
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| Heinrich Schiff |
conductor
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Das ORF-Festival »musikprotokoll im steirischen herbst« ist 1972 noch fast ebenso jung, wie das Cellokonzert des Komponisten Witold Lutosławski – ersteres 1968 gegründet, zweiteres 1970 geschrieben – als es bei ebendiesem Festival zur Aufführung dieses Konzertes mit dem Solisten Heinrich Schiff kommt. Der damals zwanzigjährige Schiff springt ein für einen berühmten Kollegen: Mstislaw Rostropowitsch war eingeladen, musste absagen, und hatte das Konzert kurz zuvor zur Uraufführung gebracht. Aber seit und nach dieser Grazer Aufführung beim musikprotokoll ist dieses polnische Cellokonzert zu einem Lebensstück des österreichischen Cellisten geworden. Heinrich Schiff hat inzwischen die Stafette des Cellospiels an Jüngere weitergegeben, aber dieses Cellokonzert bleibt exemplarischer und essenzieller Teil seines Lebens. Mit dem RSO Wien führt Heinrich Schiff nun dieses Konzert als Dirigent auf, den solistischen Cellopart übernimmt sein ehemaliger Schüler und mittlerweile selbst zum Cello-Star gewordene Christian Poltéra.
»Mit Bestürzung stelle ich fest«, schreibt der Komponist Witold Lutosławski in einem Brief, »wohin meine unvorsichtige Bemerkung über den dramatischen Konflikt zwischen dem Solopart und dem Orchester führen kann. Ich muss hier Ihrer Phantasie, die Sie das Werk als musikalische Illustration irgendeines düsteren Schauspiels sehen läßt, aufs Allerenergischste die Zügel anlegen; denn nichts dergleichen war meine Absicht. Glücklicherweise wird Musik sehr verschiedenartig interpretiert, und das macht ihre Stärke und Originalität im Vergleich zu anderen Kunstgattungen aus. Hätte ich ein Drama über den Konflikt des Individuums mit der Gemeinschaft schreiben wollen, dann hätte ich das in Worten getan.« Die Interpretation dieses musikalisch ausgerollten Konflikts bleibt eine offene Frage. Individuum und Masse, Solist und Orchester, eigene Meinung und Parteidoktrin: All das steckt in diesem Stück und auch, oder auch nicht. Jedenfalls aber: Eine beinahe wie eine Geschichte nachhörbare Dramaturgie entrollt Witold Lutosławskis Cellokonzert. Das Stück hätte kein »Programm« behauptet der Komponist zwar eben später, aber nichtsdestotrotz schickt er Mstislaw Rostropowitsch eine Art Szenario mit, als er ihm das Manuskript vor der Uraufführung zukommen lässt. In diesem Stück sind sich Solist und Orchester gar nicht freundlich gesinnt. Eine lange monologische Introduktion des Violoncellos wird von den Trompeten des Orchesters nach ungefähr vier Minuten recht rüde unterbrochen und das Cello verstummt wie erschrocken. Über die kommenden 20 Minuten hinweg entspinnen sich die verschiedensten Beziehungskonstellationen zwischen Solist und Kollektiv, bis sie – laut Witold Lutosławski – in »eine Art Duell« münden. Musik ist immer Teil der Gesellschaft, in der sie entsteht, für die sie entsteht, oder auch gegen die sie entsteht. Aber selten wurde der dieser Konstellation innewohnende Konflikt in einem nicht-theatralischen, sondern rein instrumentalen Werk deutlicher zur Sprache gebracht, als in diesem Cellokonzert von Witold Lutosławski.
(CS)