Nott, Tamestit / Berio, Mahler
Antoine Tamestit |
viola
|
|
Jonathan Nott |
conductor
|
Die Differenz zwischen E und U, das angebliche oder reale Gefälle zwischen elitärer Kunst und Massenunterhaltung: Kaum ein Komponist hat dieses prekäre Verhältnis so stark zum Thema gemacht und gleichzeitig so schlüssig negiert wie Gustav Mahler. Schon in seiner 1. Symphonie, aus stark programmatischem Zusammenhang geboren, aber schließlich ganz in die Sphäre der absoluten Musik gestellt, finden Naturlaut und Volkslied, Militärmarsch, Fanfare und deftiges Aufspielen zum Tanz Eingang in den bürgerlichen Konzertsaal und werden zu gleichrangigen Elementen der hehren, altehrwürdigen Kunst, die hier in einen musikalischen Triumph führt. Knapp hundert Jahre später wollte Luciano Berio, genau wie sein verehrter Vorgänger Mahler, sich mit Volksmusik zugleich identifizieren, sie für Experimente gebrauchen und ganz für seine Zwecke einspannen: "Ich glaube, nur so ist es möglich, dass die Transkription zu einem kreativen, konstruktiven und ausdrucksstarken Akt wird." In "Voci" verarbeitet Berio Arbeits-, Wiegen-, Liebes- und Volksgesänge aus Sizilien – für ihn "neben der sardischen die reichhaltigste, umfassendste und glühendste unserer mediterranen Kultur": aufregend sinnliche, glitzernde, unnachgiebige Klänge, die ihre Geburt unter brennender Sonne nicht verleugnen.
Walter Weidringer