Meister / Ravel, Cerha, Bartók
Cornelius Meister |
conductor
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„Sehr oft kommt am Morgen, im Zustand zwischen Schlaf und Wachen, Musik auf mich zu“, verrät Friedrich Cerha. Wenn sich der unvermindert vital schaffende 90-jährige Komponistendoyen im Auftrag der Salzburger Festspiele mit einem neuen Orchesterwerk zu Wort meldet, dann ist die Musikwelt hellwach, spitzt die Ohren – und lauscht auf jene vom RSO Wien unter Cornelius Meister beschworenen Klänge, die ihrem Schöpfer gedämmert sind, als sich seine Kreativkräfte in halb bewusstem Befinden verdichtet haben. Im besonderen Fall war das Erlebnis sogar „gekoppelt mit einem visuellen Erlebnis: Eine Gestalt mit unklaren Konturen, wie in Nebel gehüllt, die anfangs leicht von innen heraus pulsierte, eine Bewegung, die später vorübergehend auch beängstigende Ausmaße annahm, bevor sie wieder verebbte. Ich formulierte noch im Traum die Farbe blassblau, vielleicht dadurch beeinflusst, dass ich einige Wochen zuvor ,Eine blassblaue Frauenhandschrift' von Werfel wieder gelesen hatte. In zartes Licht gehüllt, stand die Gestalt zunächst vor einem nachtschwarzen Hintergrund. Mit zunehmender Nähe zum Erwachen löste sie sich langsam in feinen Schwaden auf und zurück blieb eine leere Mandorla. Ich habe zweimal versucht, das Erlebnis malend festzuhalten, aber die Musik war spontan sofort da.“
So also entstand ,Eine blassblaue Vision' – ein Titel jener konkret-suggestiven Art, die Cerha immer eher gemieden hat, weil sie ein Programm nahelegen, das nicht existiert. Erst nach Abschluss der Partitur entdeckte Cerha in einer alten Ausgabe von Goethes Prometheus den Ausdruck „Knabenmorgen Blüthenträume“ – und war „fasziniert: Der Geruch dieser Wortschöpfung, die Atmosphäre, die sie verbreitete, entsprach recht genau der meines Traumes und – wie ich hoffe – der meiner Musik.“
Den (Alb-)Traum vom Untergang der Donaumonarchie, deren Hofstaat ein letztes Mal rauschhaft im Dreivierteltakt über das Parkett schwebt und sich zur Ekstase steigert, bevor alles zusammenbricht – diese gespenstische Szenerie hingegen setzte Maurice Ravel in der Rückschau seines „choreographischen Gedichts“ mit dem Titel „La valse" 1920 in suggestive Töne. Gemeinsam mit „Alborada del gracioso" (etwa: „Die Morgendämmerung des Narren“) ist „La valse" eines jener beiden Tanzstücke, die Cerhas rätselhaft-schöne Novität als scharf konstrastierender Rahmen einfassen.
Als „symphonisches Ballett“ begannen 1939 Béla Bartóks Pläne zu seinem letzten großen Orchesterwerk. In der Emigration in den USA, für das Boston Symphony Orchestra und dessen Chef Sergej Kussevitzky, arbeitete der bereits schwer kranke Bartók dann sein kontrastreich-mannigfaltiges Konzert für Orchester aus: Rund um eine triste „Elegia“ bogenförmig angeordnet, endet es nach „Bildern des Kampfes, des Spieles, der Sehnsucht und der Ironie“ (G. Króo) optimistisch – mit der Vision eines Sieges.
Walter Weidringer