Gastspiel Linz. Meister, Say / Mozart, Schostakowitsch
Fazil Say |
piano
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Cornelius Meister |
conductor
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Marco Borggreve

Schostakowitsch schrieb seine Vierte Symphonie nach den finsteren Vorwürfen, mit denen die "Prawda" im Januar 1935 seine Oper "Lady Macbeth von Mzensk" von den Spielplänen gefegt hatte. Ein künstlerisches Credo gegen die Unterdrücker sollte das Werk sein, seine Tonsprache: persönlich, leidenschaftlich, scharf. Doch schon während der Proben mit den Leningrader Philharmoniker tauchten der Sekretär des Komponistenverbandes und ein Regierungsvertreter auf. "Der Philharmoniedirektor Issai Rienzin", schreibt Schostakowitschs Freund, der Regisseur Isaak Glikman, "bat Dmitrij in sein Arbeitszimmer. Nach 15 bis 20 Minuten kam er zurück, und wir gingen dann zu Fuß in Richtung Kirowskiprospekt. Das lange Schweigen meines traurigen Weggenossen beunruhigte mich. Schließlich sagte Schostakowitsch mit tonloser Stimme, dass die Symphonie aus dem Programm genommen werde. Dies geschehe auf Rienzins Rat, der keine administrativen Mittel anwenden wollte und Schostakowitsch gebeten habe, selbst auf die Aufführung zu verzichten."
Schostakowitsch "rehabilitierte" sich nun mit der monumentalen Fünften, die zwar nicht weniger Anteilnahme des Komponisten verrät, deren formaler Verlauf aber sehr viel geradliniger und plakativer ist. Noch in den 50er-Jahren sah sich Schostakowitsch genötigt, seine Vierte als "misslungen" abzulehnen. Als 1961 endlich die Uraufführung durch Kirill Kondraschin bevorstand, prüfte er die Partitur eingehend. Doch er änderte keine Note. Schostakowitsch-Biograf und Komponist Krzysztof Meyer: "Niemals mehr hat er einen so übermütigen, sorglosen und exzentrischen Ton gefunden. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass in dem ganzen Werk jener schwer in Worte zu fassende tragische Ton, ein leidenschaftliches Feuer und eine Tiefe spürbar sind, die die Persönlichkeit des Komponisten wiedergeben."
Chefdirigent Cornelius Meister und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien haben für dieses Gastspiel im Linzer Brucknerhaus mit Fazil Say einen der profiliertesten Pianisten unserer Tage eingeladen. Seine pointierten Interpretationen der Wiener Klassiker erreichen weit mehr Menschen, als gemeinhin zum engeren Konzertpublikum gezählt werden, seine sarkastischen Twitter-Kommentare haben die türkische Regierung gegen ihn aufgebracht.
Christoph Becher