Nagano / Mahler
Symphonie für zwei Solostimmen und Orchester nach Hans Bethges „Die chinesische Flöte“
Tanja Ariane Baumgartner |
mezzo-soprano
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Piotr Beczała |
tenor
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Kent Nagano |
conductor
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Benjamin Ealovega
Die liebe Erde,
Im Sommer 1907 starb Gustav Mahlers älteste Tochter vierjährig an Diphtherie, ein Schicksalsschlag, von dem sich die Familie nicht mehr erholen sollte. Im Herbst legte er seine Tätigkeit als Direktor der Wiener Hofoper nieder, begleitet von einer Presse, die ihm zuweilen jegliches Talent zum Komponieren absprach. In diesem Umfeld konzipiert Mahler ein Werk, das am Ende „die liebe Erde“ umarmt, sich aber vom Menschen abwendet. Es sei, so Mahler, „das Persönlichste, das ich bis jetzt gemacht habe“.
„Das Lied von der Erde“ ist Liederzyklus und Symphonie zugleich. Schon in seinen ersten Symphonien hatte Mahler Lieder „Aus des Knaben Wunderhorn“ integriert, hier aber verschränkten sich Lied und Symphonik so vollkommen, dass Mahler buchstäblich nicht mehr wusste, was er da gattungsgeschichtlich komponiert habe. Nicht, dass es ihn sonderlich interessierte, aber ihn beruhigte der Nebeneffekt, dass sein neuntes Orchesterwerk eben keine Symphonie war. Die Reihe von Komponisten, die nach Vollendung einer Neunten Symphonie gestorben waren – Beethoven, Dvořák, Bruckner – schien ihn warnen zu wollen. Klingt abergläubisch und ist es auch. Dennoch sollte es sich bewahrheiten: Mahler starb 1911 über den Skizzen zu seiner Zehnten Symphonie.
Die vertonten Lieder stammen aus der Gedichtsammlung „Die chinesische Flöte“ von Hans Bethge. Um China ging es Mahler jedoch kaum. Zwar finden sich im „Lied von der Erde“ viele pentatonische Motive und Themen, mithin ein Melodik, die sich an der in Asien verbreiteten fünfstufigen Tonskala orientiert; aber Mahler verwendet die Textvorlage nur, um sein eigenes Lebensgefühl zu illustrieren: dass sich der Mensch in dieser Welt nicht zu Hause fühlt. Im halbstündigen Finale, dem „Abschied“, verbreitet sich in kammermusikalischer Durchsichtigkeit und geradezu zärtlichem Tonfall pure Resignation: „Du, mein Freund, / Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold! / Wohin ich geh? Ich geh, ich wandre in die Berge. / Ich suche Ruhe für mein einsam Herz.“
Kent Nagano, einer der profiliertesten Orchesterleiter unserer Tage, hat „Das Lied von der Erde“ eingespielt und dirigiert nun das ORF Radio-Symphonieorchester Wien am 14. August bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule, es singen Tanja Ariane Baumgartner und Startenor Piotr Beczała. Ursprünglich hätte das Konzert auch Leonard Bernsteins Symphonie Nr. 3 „Kaddish“ enthalten sollen, doch Corona halbierte das Programm. Stattdessen gibt es nun ein intimes Innehalten vor dem „Abschied“, von einem der größten Bewunderer Mahlers: Till Fellner spielt die sechs Klavierstücke op. 19 von Arnold Schönberg.
Christoph Becher