Silvesterkonzert. Richard Strauss
Libretto von Stefan Zweig, Joseph Gregor
Regie: Robert Wiene, Ö 1925
Bearbeitung: Bernd Thewes, eingerichtet von Frank Strobel
Cornelius Meister |
conductor
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Zirca 10.000 Statisten; exquisite Drehorte in und um Wien; das Schönbrunner Schlosstheater und der Schlosspark als Originalkulisse für die Rokoko-Handlung; Stars, deren Namen heute kaum mehr jemand kennt wie Michael Bohnen als Ochs von Lerchenau und Huguette Duflos als Marschallin; mit dem Regisseur des erfolgreichen Films "Cabinet des Dr. Caligari" Robert Wiene im Regiesessel; und die Stars des zeitgenössischen Opernbetriebs im Team: Bühnenbildner Alfred Roller, der schon die Uraufführung des "Rosenkavalier" ausgestattet hatte, zeichnet für die Dekors verantwortlich, Hugo van Hofmannsthal wird als Ko-Drehbauchautor angeführt, und Richard Strauss selbst beteiligt sich an der Einrichtung seiner eigenen Originalmusik für die Filmadaption. Mehr exquisiter Glamour ist für eine Filmproduktion kaum denkbar, als 1926 die filmische Adaption der Oper "Der Rosenkavalier" umgesetzt wird. Und doch sind die wahren Helden noch andere: Louis Nerz, künstlerischer Leiter und Dramaturg der produzierenden Pan-Film, initiiert und verfolgt die Idee. Der heimliche Star der Uraufführung der Produktion ist aber wohl noch jemand Anderes: Hans Androschin heißt jener Mann, der den Film sowohl geschnitten hat, als auch als Vorführer an der tatsächlichen Uraufführung beteiligt ist. Und es war die Aufgabe des "Vorführers" – und in diesem Fall auch des Einzigen, der den fertig geschnittenen Film wirklich in jedem Detail kannte –, das Vorführen des Films mit dem Spiel des Orchesters synchron zu halten, eine vermutlich schwindelerregend schwierige Aufgabe. Auf diese Weise uraufgeführt wird der Film 1926 in der Semperoper in Dresden, wo genau 15 Jahre zuvor auch die Oper selbst uraufgeführt worden war. Künstlerisch war das Unterfangen ein großer Erfolg und ebenso große Pläne wurden geschmiedet: Eine Amerika-Tour mit Richard Strauss und Orchester und Film war vorgesehen, aber dann kam der exakt in diesen Jahren aufkommende Tonfilm diesem plötzlich anachronistisch gewordenen Vorhaben in die Quere und die Tournee fand nie statt.
Diese historische Koinzidenz bringt aber auch uns heute nochmals deutlich zu Bewusstsein, mit welch monströsem Projekt wir es hier zu tun haben: Große Oper als "Stummfilm", also der Inbegriff der Stimmkunst ohne jede hörbare Stimme, aber dennoch mit den Stimmstars der Zeit als Film-Akteuren und dem Orchester als Live-Akteur. Dass diese Produktion so haargenau an der zeitlichen Schnittstelle von "Stummfilm" und "Tonfilm" lag, hatte natürlich Konsequenzen. Das Orchester wurde in den folgenden Aufführungen gleich durch zugespielte Schallplattenaufnahmen ersetzt oder auch durch die noch eher trotz Stummfilmkrise erschwinglichen Pianisten. Und die produzierende Filmfirma Pan konnte sich zwar in diesen Jahren länger halten als viele andere, die dem Druck amerikanischer Konkurrenz nicht standhielten, aber nach dem riesigen künstlerischen Erfolg, jedoch auch riesigen finanziellen Aufwand für den »Rosenkavalier«-Film, ging auch diese Filmfirma einer ehemals glorreichen österreichischen Filmproduktionsära pleite. Es dauerte, wie oft in solchen Fällen, Jahrzehnte: Zuerst geht der Fortgang der Geschichte über das (Film)-Werk hinweg, Teile gehen verloren, Partituren bleiben nach Bearbeitungen nicht, was sie waren, aber dann haben findige Geister dennoch genug Energie, das Original zu rekonstruieren. Seit kurzem ist Film- und Musikmaterial wieder verfügbar und der Rosenkavalier und all seine Mitstreiterinnen können ihr musikalisch-mediales Wiedergängertum zur Freude von uns allen ausleben.
Christian Scheib