Meister / Wagner, Vivier, Scelsi, Strauss
Cornelius Meister |
conductor
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Marco Borggreve
»Das ist keine Musik … Dies ist das Chaos! Dies ist Demagogie, Blasphemie und Wahnwitz! Dies ist ein parfümierter Qualm, in dem es blitzt!« So zürnt in Thomas Manns »Buddenbrooks« der brave Organist und Bach-Verehrer Edmund Pfühl über Richard Wagners »Tristan und Isolde«, und so entrüsteten sich seinerzeit viele rechtschaffene Musiker über das unerhörte Werk. Die Vereinigung von Eros und Thanatos, von Liebe und Tod, sie blieb noch lange skandalös – obwohl oder gerade weil der »Tristan« und sein geheimnisvoller Akkord, der nach Auflösung strebt und doch sehnsuchtsvoll in sich ruht, das Tor zu öffnen schienen in eine harmonisch ungewisse Zukunft, in die Moderne. Denn die Ungewissheit wirkte stärker als die Erfüllung im verklärt leuchtenden H-Dur am Ende des »Liebestodes«. Dabei stammt diese Bezeichnung für den Schlussgesang der Isolde vom Verleger, Wagner selbst sprach lieber von Isoldes »Verklärung«. Und so wirkt es umso logischer, dass Cornelius Meister und das RSO Wien zum Finale dieses Festspielkonzerts ein anderes musikalisches Sterben zelebrieren, jenes von Richard Strauss’ Tondichtung »Tod und Verklärung«. Was viele Zeitgenossen sowohl bewunderten als auch befremdlich fanden, war jedenfalls der klinisch kühle, scharfe Blick, den der bei der Uraufführung 1890 gerade 26-jährige Strauss auf den imaginären Sterbenden und seine Todesqualen warf – und die Genauigkeit, mit der er diese musikalisch zu schildern wusste, erinnert an das berüchtigte Typhus-Kapitel in »Buddenbrooks«, das gerade durch seine distanzierte Schilderung des Krankheitsverlaufs so beklemmend wirkt. Fast 60 Jahre später soll Strauss auf dem Totenbett gesagt haben, es verhalte sich mit dem Sterben genau so, wie damals komponiert … Es fällt schwer, das tragisch frühe Ende Claude Viviers mit knapp 35 Jahren nicht im Widerstreit von Eros und Thanatos zu sehen: Der kanadische Komponist wurde 1983 in Paris von einem jungen Prostituierten ermordet. Seine Musik gilt als Spiegelbild seines Lebens: Adoption mit drei Jahren, eine schwierige Kindheit, die Suche nach den unbekannten Eltern, religiöses Empfinden und Homosexualität, die ambivalente Beziehung zum katholischen Priesterseminar, das ihm Wege zur Musik eröffnete, bis er hinausgeworfen wurde – all das brannte in diesem leidenschaftlichen, aber zugleich humorvollen Menschen, dem wenig Zeit vergönnt war. Das passt zur Selbstfindung in Hermann Hesses »Siddhartha«, die Vivier 1976 in seinem ersten großen Orchesterwerk nachvollzog. Walter Boudreau, der Dirigent der Uraufführung, nannte es »selbstreflektierende Musik«, einen »lebenden Organismus, ein kosmisches Kind, das von der Idee des Todes und des Unendlichen getrieben wird«. Dazu tritt Giacinto Scelsis »Hymnos«: eine Suche, die im Inneren der Klänge wie der Psyche brodelt.
Walter Weidringer