Arienabend. Valentovic, Gruberova / Donizetti
Libretto von Giuseppe Bardari nach dem gleichnamigen Drama von Friedrich Schiller
Libretto von Felice Romani
Edita Gruberova |
soprano
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Peter Valentovic |
conductor
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Welche Opernorchester Gaetano Donizetti hat hören müssen – wir wollen es uns besser nicht vorstellen. "Il maestro orgasmo" (keine Erfindung der Nachgeborenen! Zeitgenossen nannten ihn tatsächlich so) komponierte eine Dreistunden-Oper im Bestfall in nicht einmal drei Wochen, und für die komplette Einstudierung blieb oft noch weniger Zeit. Bei der Premiere war der Komponist dann im Regelfall musikalischer Leiter: mit irgendeinem Tasteninstrument in Reichweite, im Orchestergraben nächst der Bühnenrampe postiert; die mehr oder weniger sattelfesten Instrumentalisten (mit dem daher doppelt wichtigen Konzertmeister) hatte er im Rücken … "Maestro al cembalo" wurde noch der junge Giuseppe Verdi genannt – als ob ein "Nabucco" mit anachronistischem Cembalo im Orchester gespielt worden wäre! Oder kam womöglich selbst das vor? Für den Fall, dass plötzlich Instrumente ausfielen oder das Theater schlicht sparen musste, sprang der Komponist am Tasteninstrument in die Bresche.
Opern-"Originalklang" im frühen 19. Jahrhundert. Aber ging es nicht in erster Linie ohnehin um Gesang, Gesang und nochmals Gesang? Der Divenkult ist keine Erfindung unserer Tage. Nehmen wir Maria Malibran, deren Nachruhm es nicht schadete, dass sie 1836 mit nur 28 Jahren nach tragischem Reitunfall verstarb. Es wurden Romane über sie geschrieben, die Salons musikliebender Häuser waren voll von Malibran-Devotionalien – Stiche, Medaillons, Porzellan –, von ihr gesungene Melodien gingen in Druck, von ihr getragene Roben machten Mode, die Zeitungen meldeten Auftritte und (kolportierte) Fehltritte "der" Malibran mit den gleichen Riesenlettern. Und natürlich schrieben die Musiker der Ära mit Vorliebe extra für sie, deren Name allein für "publicity" garantierte. Von Gaetano Donizetti hat Maria Malibran die Titelpartie von "Maria Stuarda" aus der Taufe gehoben, am Mailänder Teatro alla Scala: eines der beliebten zeittypischen Opern-"biopics" rund um Mary, Queen of Scots, für dessen Handlungsverlauf Friedrich Schillers Drama mit der von ihm der Historie hinzuerfundenen Konfrontation zwischen Mary Stuart und Königin Elizabeth I. Märtyrerin Maria als Lichtgestalt, die Queen als ihr hasserfüllter, eifersüchtiger Bühnen-Widerpart:
So machen Königinnen-Opern Opern-Königinnen. Eine regierende "Königin des Belcanto" tritt im 46. Karrierejahr mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Peter Valentovic auf: Edita Gruberová. Wie sie sich vor dreieinhalb Jahrzehnten erstmals in dieses Fach vorwagte, waren eine Joan Sutherland, eine Montserrat Caballé, eine Beverly Sills die Regentinnen. In die erste Reihe vorgearbeitet hat sich Edita Gruberová mit größtem persönlichem Einsatz, schwindender Kompromissbereitschaft samt Vertrauen in die eigene Überlegenheit – und dann auch ohne Scheu davor, zu Krisen und Geburtstagen zu stehen. Melomanen (und -innen) von Barcelona bis Tokyo sind die Gruberová-Kantilenen das Höchste, und in Wien ist es der Sopranistin vollends gelungen, mehr als zwei Generationen von Opernfans davon zu überzeugen, dass Bellini und Donizetti so "gehen", wie sie deren Musik auffasst – nur so, und nur mit ihr! Nichts Neues unter der Musiktheater-Sonne? Den "Durchbruch" von Gaetano Donizetti als Schöpfer von affektreichen "melodramme" markiert der 26. Dezember 1830, das Uraufführungsdatum der "Anna Bolena". Als wären sie einem düsteren Gemälde entstiegen: Heinrich VIII. und zwei seiner Frauen, die "abgelegte" und am Ende zum Schafott geleitete Anne Boleyn sowie deren Nachfolgerin an "Enricos" Seite, Jane Seymour, sind die Hauptpersonen; ein Tenor steht bereit, Anna zu kompromittieren, auf dass das Schicksal seinen Lauf nimmt. Auch der Name der ersten Anna Bolena scheint im Buch der allergrößten Belcanto-Interpretinnen in goldenen Lettern auf: Giuditta Pasta, die, wenn man so will, die Maria Callas der Ära war, Bellinis Ur-Norma, zugleich eine gefeierte Rossini-Sängerin, die in Wien das Rossini-Fieber der Schubert-Zeit anfachen half … Im Anschluss an Rossinis "Lady of the lake"-Oper nach Walter Scott, "La donna del lago", war die italienische Melodramen-Romantik versessen auf England, speziell Schottland als Schauplatz: nebelverhangen, mondbeschienen, und bei Bedarf blutrünstig. Donizetti wird auf diese Mode noch mehrfach aufspringen, auch im späteren "Roberto Devereux", wo noch einmal Elizabeth I. – dann gealtert – im Zentrum steht: Nr. 3 seiner heute gerne im Zusammenhang gesehenen "Tudor-Königinnen"-Opern. So findet sich das Opern-Biotop belebt von Primadonnen und primi uomini, von "Königinnen der Koloratur", Regenten des hohen C, "rei dei bassi" im tiefen Register. Und bevölkert von gekrönten Häuptern mit historischem Background. Die Oper, ein royales Vergnügen? Nur der spätere Mozart und alles, was im Schlepptau der französischen Revolution an zeittypischem Musiktheater entstand, kommt weitgehend ohne Kaiser, Könige, Fürsten aus. Wie sieht es die "Zauberflöte": Tamino "ist Fürst? Mehr: er ist Mensch!"
Und sind nicht auch die Belcanto-Königinnen dann am berührendsten, wenn sie scheitern, zerbrechen, von Librettisten udn Komponisten in den melodienumflorten Tod geschickt werden? Mag auch die Bühnenfigur ihr Leben aushauchen: die Melodie erhebt sich über sie – und wartet auf die nächte Interpretin von imperialem Format.
Chris Tina Tengel