Steinberg, Barenboim / Kabalewskij, Schönberg, Schostakowitsch
Michael Barenboim |
Violine
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Pinchas Steinberg |
Dirigent
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Freund/in des RSO & Ö1 Club-Ermäßigung
Pinchas Steinberg

Widerspruchsvolles Portrait der 30er-Jahre
Pinchas Steinberg war von 1989 bis 1996 Chefdirigent des RSO Wien. Anlässlich der Jubiläumssaison 2019/20 kehrt er zum ersten Mal wieder ans Pult seines ehemaligen Orchesters zurück. Begleitet wird er von dem Geiger Michael Barenboim, den u. a. Pierre Boulez und Lorin Maazel förderten und der nicht zuletzt durch die Interpretation eines Konzertes Aufmerksamkeit erregte: dem Violinkonzert von Arnold Schönberg. Die Komposition, die Jascha Heifetz als "unspielbar" zurückwies (bevor dann Louis Krasner, der Uraufführungs-Interpret von Alban Bergs Violinkonzert, das Gegenteil bewies), schrieb Schönberg in den ersten Jahren nach seiner Emigration in die USA. In dem Konzert bringt der Schöpfer der Zwölftontechnik klangliche Gegensätze unvermittelt zusammen: ein aufregendes, zuweilen schroffes Werk, dessen Modernität acht Jahrzehnte nach seiner Entstehung noch immer frappiert.
20 Jahre später verfasste Schostakowitsch seine zehnte Symphonie, eine heimliche Abrechnung mit dem Stalinismus. Nach Stalins Tod 1953 fühlte sich Schostakowitsch endlich wieder in der Lage, eine Symphonie zu schreiben, so emotional, sinnlich und intelligent, so hintergründig und auftrumpfend wie lange nicht mehr. Im legendären zweiten Satz will der Komponist, wie überliefert wurde, Stalin "vertont" haben: umfassende Orchester-Geschäftigkeit bei minimaler musikalischer Substanz. Man könnte auch sagen: viel Lärm um nichts. Dem steht die quälend lange, tieftraurige Einleitung des Finales entgegen. Hier klagt einer an, der unter Stalin gelitten, ihn aber überlebt hat.
Dmitrij Kabalewskij geht der Ruf voraus, unter Stalin weitaus stromlinienförmiger, gefälliger, lebensbejahender komponiert zu haben als der grüblerische und kluge Schachspieler Schostakowitsch. Ein Werk wie die Ouvertüre zu "Colas Breugnon" sollte deswegen nicht abschätzig beurteilt werden, zu mitreißend ist ihr Schwung. Und dass diese Ouvertüre nahezu zeitgleich mit Schönbergs Violinkonzert entstanden ist, malt das widerspruchsvolle Portrait der 30er-Jahre mit größter Deutlichkeit.
Christoph Becher