Brönnimann / Schnebel
Anna Clare Hauf |
Alt
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Martin Laumann |
Tontechnik
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Florian Bogner |
Klangregie
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Andrew Joon Choi |
Musikalische Assistenz
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Baldur Brönnimann |
Dirigent
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Freund/in des RSO & Ö1 Club-Ermäßigung
Prototyp einer Symphonie
"Sinfonie X – eine x‘te: 3., 7., 13.; meinetwegen auch eine 10.; sicher aber eine erste und letzte und eine unvollendete … Im wesentlich aber eben eine 'Sinfonie X', als quasi Unbekannte, bzw. eine Sinfonie über ein X, über eine Variable, oder selbst als quasi variabler Prozess." (Dieter Schnebel)
Die "Sinfonie X" komponierte Dieter Schnebel in den Jahren 1987 bis 1992. Die ihn als Avantgardisten kannten, fanden sich nun überrascht durch die introvertierte, manchmal geradezu schüchtern harmonische Musik und die traditionelle Gestaltung des Werkes. Gemäß des vieldeutigen Titels handelt es sich auch um den Prototyp einer Symphonie: ein umfangreicher Kopfsatz (Con moto), ein Scherzo, ein Walzer, ein Adagio, mittendrin ein Hymnus, schließlich ein Finale "alla marcia", das Motive der vorangegangenen Sätze aufgreift. Doch das ist nur die eine Seite. Denn dazwischen gibt es Abweichungen, Erinnerungen, Zurücknahmen. Schlagzeuger umzingeln das Publikum, und wenn sie spielen, rücken sie den Klang an den Rand, knapp vor das Verstummen. Jeder Satz ist zugleich eine Hommage: Der auskomponierte Stillstand im "Kopfsatz" Con moto verbeugt sich vor Morton Feldman, der Walzer, ausgedünnt bis auf den Dreivierteltakt, vor Iannis Xenakis, der harmonisch komplexe Hymnus vor Olivier Messiaen.
Vor allem aber nimmt das Werk Gustav Mahler ins Visier, mit dem sich Dieter Schnebel, der 2018 in Berlin 78-jährig gestorben ist, zeit seines Lebens auseinander gesetzt hat, musikalisch wie wissenschaftlich. Denn "Sinfonie X" bedeutet auch: eine Zehnte Symphonie, jenes Werk also, das Beethoven, Bruckner und Mahler versucht haben, und dessen Nichterreichen den abergläubischen Schönberg erschreckte: "Es scheint, die 'Neunte' ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort.« Und wie Mahlers Symphonien »eine Welt aufbauen", so wird auch Schnebels "Sinfonie X" nahezu vegetativ von Alltag überwuchert. Vor und nach der Konzertaufführung, in den Foyers und Gängen des Aufführungsortes, aber auch in der Pause, tönen Klänge des Verkehrs, der Kultur und der Natur.
Die "Sinfonie X" dauert über zwei Stunden und meint die ganze Welt; wie diese ist sie zerbrechlich und schutzbedürftig. Die komplette Fassung vom ersten und zweiten Teil wurde nach der Uraufführung 1992 nicht mehr gespielt. Wien Modern und das RSO Wien präsentieren die zweite Aufführung.
Christoph Becher