„Wie ist die Stimmung?“, fragt Bernhard Günther, Festivalleiter von Wien Modern, lässig und mit tückischer Harmlosigkeit. Das Festival, das seit 1988 alljährlich ganz Wien mit zeitgenössischer österreichischer und internationaler Musik überzieht, wird auch das herauszufinden haben: wie die Stimmung in einem Musikleben ist, das sich seit dem Ende des letztjährigen Festivals grundlegend gewandelt hat.
Eröffnungskonzert
Uhr, Wiener Konzerthaus
Leo Hussain, Dirigent
Tabea Zimmermann, Viola
Pauline Oliveros: The Tuning Meditation (-1971)
Four Meditations for Orchestra
Enno Poppe: Filz für Bratsche und Kammerorchester (2013-2014)
Germán Toro-Pérez: Trazos II (2020) UA
für großes Orchester mit zwei Klavieren und zwei Harfen im Vierteltonabstand
Hugues Dufourt: Les deux saules, d'après Monnet (2020) UA
Auftragswerk Wien Modern
Manchmal genügt schon ein einziger Klang, und sofort steht eine Atmosphäre mitten im Raum. Beispielsweise die beschwörend durch den stillen Saal gleitende Solomelodie am Anfang von Enno Poppes Violakonzert "Filz", atemberaubend gespielt von Tabea Zimmermann. Eine leidenschaftliche Suche nach Farben und Stimmungen führt unter anderem dazu, dass dem extra warmen Bratschenklang vom Orchester gleich "noch eine Art Fußbodenheizung" (Enno Poppe) unterlegt wird, "die Wärme, die aus der Tiefe kommt". Die rätselhafte, schillernde Kühle von Claude Monets immersivem Surround-Gemälde "Seerosen: Die zwei Weiden" verdichtet Hugues Dufourt, Meister der Stimmungen im mehrfachen Wortsinn, mit einer erweiterten Farbpalette zu seinem neuen, großformatigen Orchesterwerk. Germán Toro Pérez erschließt mit jeweils zwei Harfen und Klavieren im Vierteltonabstand subtile Zwischentöne. Und bei der erfrischend unkonventionellen texanischen Komponistin Pauline Oliveros werden nicht nur die Instrumente gestimmt, sondern gleich auch Körper und Geist.
Bernhard Günther, gekürzt
Live in Ö1!
Porträtkonzert Sofia Gubaidulina
Uhr, Musikverein Wien
Oksana Lyniv, Dirigentin
Antoine Tamstit, Viola
Sofia Gubaidulina: Der Zorn Gottes (2019) UA
Sofia Gubaidulina: Konzert für Viola und Orchester (1996)
Sofia Gubaidulina: Stimmen... Verstummen... Symphony in twelve movements (1986)
Sofia Gubaidulina, geboren am 24. Oktober 1931 im tartarischen Tschistopol und seit knapp 30 Jahren bei Hamburg lebend, erzielt mit einer subtilen Palette an Zwischentönen durchaus dramatische Wirkungen. Der außergewöhnliche Zugriff auf Farben, Emotionen, Ausdruck und Dramatik in ihrer Musik hat ihr nebenbei sogar höhere Hollywood-Weihen eingetragen – sie ist das älteste Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. 1989 war sie als allererste Komponistin bei Wien Modern zu Gast (u. a. spielte das RSO Wien ihre damals neue Sinfonie "Stimmen … Verstummen …").
2020 widmen Wien Modern und RSO Wien ihr ein besonderes Porträt im Musikverein – mit Antoine Tamestit als Interpret des furiosen Soloparts im Violakonzert und Dirigentin Oksana Lyniv in ihrem RSO-Debüt.
Bernhard Günther, gekürzt
Ö1, Uhr
Friedrich Cerha: Spiegel I-VII
Uhr, Wiener Konzerthaus
Ingo Metzmacher, Dirigent
Harald Hoffmann
Ingo Metzmacher
Friedrich Cerha, Jahrgang 1926, begleitet das RSO Wien seit dessen Gründung 1969 als Komponist, lange auch als Dirigent. In den letzten Jahren hat der Doyen der österreichischen Gegenwartsmusik ein fantasievolles Orchesterwerk nach dem anderen komponiert, die meisten davon hob das RSO Wien aus der Taufe. Höchste Zeit also, sich wieder einmal seinem orchestralen Hauptwerk zuzuwenden, den "Spiegeln I–VII", die Ligeti seinerzeit die Schweißperlen auf die Stirn getrieben hatten und die Cerha mit dem RSO Wien 1972 in Graz uraufführte: sieben großorchestrale Klanggemälde, die zum Eindrücklichsten gehören, was die heimische Neue Musik zu bieten hat. Voller Bewunderung schrieb Cerhas Schüler, Georg Friedrich Haas: "Die Sprache dieser Musik war radikal neu, als das Werk komponiert wurde. Dieses neue Material ist aber nicht aus einem akademischen Wunsch entstanden, auf experimentellem Weg bis jetzt unerforschte Klangmaterialien zu erproben. Dieses Neue ist – wie alles Wesentliche in der Musikgeschichte – das Ergebnis eines ungebändigten Expressionismus."
Christoph Becher, gekürzt
Live in Ö1!