Eröffnungskonzert Wien Modern
for symphonic orchestra
für Orchester
Vimbayi Kaziboni |
Dirigent
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Freund:in des RSO und Ö1 Club-Ermäßigung
Vom Nachholbedarf des Wiener Musiklebens
1910 war Wien mit 2,1 Millionen Einwohner:innen nach London, New York City, Paris und Chicago und knapp vor Berlin die fünftgrößte Stadt der Welt. 1988 wurde mit knapp 1,5 Millionen ein Tiefpunkt erreicht, seither wächst die Bevölkerung wieder ähnlich schnell wie in der Gründerzeit – bislang um 37 Prozent auf aktuell mehr als 2 Millionen. Das Gründungsjahr von Wien Modern markiert damit den Anfang einer rasanten urbanen Entwicklung, die vom mythischen Grau der 1980er in die heutige Metropole führt.
Das Wiener Musikleben, traditionell eher selbstzufrieden, erlebt genau deshalb heute wieder etwas, das zu den wesentlichen Gründen für die Erfindung von Wien Modern vor 37 Jahren gehörte – echten Nachholbedarf. Was haben wir auf dem Schirm, was bislang noch nicht oder zu wenig beachtet wurde? Um eine Frage aus den frühen Abbado-Jahren des Festivals zu paraphrasieren: Wieso sind so viele Werke noch nicht in den Sälen dieser Stadt zu hören?
Der erste Schritt, mit dem die 38. Festivalausgabe dazu einlädt, sich dieser Frage anzunähern, ist das Eröffnungskonzert des RSO Wien unter der Leitung des Wahlwieners Vimbayi Kaziboni. Er ist nicht nur als Dirigent beteiligt, sondern auch als Kurator: Gemeinsam mit dem Komponisten, Posaunisten, KI-Pionier, Wissenschaftler und Ensembledirektor George Lewis hat er das Eröffnungsprogramm gestaltet. Das ausgewählte Werk von Hannah Kendall zitiert Hiob (»Er spannt den Norden auf über dem leeren Raum und hängt die Erde auf über dem Nichts«) und Mozart. Jessie Cox nimmt mit seinem »Schattenspiel« neben Friedrich Cerhas »Spiegel« auch auf den afroamerikanischen Maler Sam Gilliam Bezug. »Your Network Is Unstable« von George Lewis will »nicht nur eine unterschwellige psychologische Entmutigung der Selbstzufriedenheit, sondern auch eine Feier der Mobilität fördern«. Und auch wenn »Weathering« – ein Ausdruck für permanenten Stress und den Umgang damit – sich auf afrodiasporische Erfahrungen mit andauerndem Rassismus bezieht, geht es um eine mitreißend gedachte Erneuerung der Geschichtsschreibungen, der Subjektivitäten und Identitäten von Musik: »Ich hoffe, dass diese Musik nicht Stress, sondern Empathie erzeugt, denn vielfältige Formen des »Weatherings« betreffen uns alle.« (George Lewis)
Bernhard Günther