Drei der sechs Abokonzerte der Saison 21/22 im Musikverein Wien wird Chefdirigentin Marin Alsop selbst dirigieren und dabei einen Bogen von der Romantik über die Klassische Moderne bis zur Zeitgenössischen Musik spannen. Mit Markus Poschner und Joana Mallwitz übernehmen zwei weitere Größen am Dirigentenpult, bis schließlich beim letzten Konzert der Saison der Taktstab traditionell mit dem Abschlusskonzert der Dirigent/innenklassen der MDW Wien dem Nachwuchs überlassen wird.
Alsop / Rott, Wolf, Mahler
Adriane White

Chefdirigentin Marin Alsop
Chefdirigentin Marin Alsop hat für den Musikverein die Urfassung von Gustav Mahlers 1. Symphonie auf das Programm gesetzt und mit zwei Komponisten ergänzt, die zu Mahlers Freunden gehörten und doch neben ihm verglühten. Hans Rott wurde keine 26 Jahre alt, und als 1989 seine E-Dur-Symphonie ausgegraben wurde, tuschelte man, Mahler habe bei ihm abgeschrieben. Die Ouvertüre »Julius Caesar« entstand 1877 nach einem Bayreuth-Besuch mit seinem Orgellehrer Bruckner. Hugo Wolf, gleichen Jahrgangs wie Mahler, teilte mit Rott die Abneigung gegen Brahms, die sich bei ihm allerdings ins Pathologische steigerte und eine unheilvolle Rolle bei seinem psychischen Abstieg spielte. Unter den wenigen Orchesterwerken Wolfs findet sich die Sinfonische Dichtung »Penthesilea«, eine kraftstrotzende Vertonung der unglücklichen Kampfund Liebesgeschichte zwischen der Amazone und Achilles während des Trojanischen Kriegs, komponiert wenige Jahre vor Mahlers »Titan«.
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Poschner / Šerkšnytė, Bruckner
Werner Kerschbaummayer

Markus Poschner
Bruckner schrieb die Urfassung seiner 4. Symphonie 1874 in einer Zeit beruflicher Rückschläge, während er in Wien mitten in die Fronten zwischen Wagner- und Brahms-Anhänger geraten war. Er übte sich bereits kurz nach Fertigstellung in Selbstkritik über sein neues Werk: »Ich bin zur vollen Überzeugung gelangt, dass meine 4. romantische Symphonie einer gründlichen Umarbeitung dringend bedarf. Es sind z. B. im Adagio zu schwierige, unspielbare Violinfiguren, die Instrumentation hie und da zu überladen und zu unruhig.« Insbesondere das Finale, das Bruckner später komplett austauschen sollte, beschwört in seiner Zerrissenheit die schaurigen Seiten der romantischen Epoche. Gerade hierin liegt für Dirigent Markus Poschner die zukunftsweisende Qualität des Werkes: »Wir wollen allen zeigen, dass uns Bruckner heute noch etwas angeht, zutiefst berührt und auch erschüttert.« Kombiniert werden Bruckners Symphonien in den Konzerten des RSO Wien jeweils mit den Werken einer zeitgenössischen Komponistin. Was nach maximalem Kontrast aussieht, weist im Falle der Litauerin Raminta Šerkšnytė allerdings geheime Verbindungen auf. Denn von Bruckners berühmtem Symphonieanfang – Quint-Wechselnote über raunendem Streichertremolo – ist es nicht weit zur mythischen, von Naturphänomenen inspirierten Tonsprache in Šerkšnytės »Midsummer Song«.
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Alsop, Gerhardt / Bray, Dean, Hindemith, Bartók
Kaupo Kikkas

Alban Gerhardt
Marin Alsop kombiniert Bühnenmusik aus dem frühen 20. Jahrhundert mit Zeitgenössischem: Die 1921 zur Uraufführung gekommene Tanz-Suite aus dem expressionistischen Einakter »Das Nusch-Nuschi« (»Ein Spiel für burmanische Marionetten«) von Paul Hindemith und Béla Bartóks einaktige, 1926 aus der Taufe gehobene Pantomime »Der wunderbare Mandarin« einerseits – auf der anderen Seite der Jahrhundertwende zwei Österreichische Erstaufführungen: das Cellokonzert des Australiers Brett Dean (2018) und Charlotte Brays »The Flight of Bitter Water«, einem gemeinsamen Auftragswerk des RSO Wien und dem in Sotchi stattfindenden Winter International Arts Festival. Brett Deans Cellokonzert changiert zwischen Hektik und Entspannung. Der Solist wird dabei von Instrumenten unterstützt, die man im Orchester eher selten findet: Hammondorgel und Schleifpapier. Charlotte Bray derweil hat mit dem im Februar 2021 in Sotchi erstmals gehörtem »The Flight of Bitter Water« der Covid-Krise zu klanglichem Ausdruck verholfen: Erst ist noch alles munter und emsig … doch dann kommt die Stille, bedrohlich, sich windend.
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Mallwitz, N.N. / Berg, Schubert

Joana Mallwitz
»Leben in allen Fasern, Kolorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall, schärfster Ausdruck des einzelnen«: Was einst Robert Schumann begeistert über Franz Schuberts C-Dur-Symphonie D 944 schrieb, könnte auch für die Symphonischen Stücke aus der Oper »Lulu« gelten. Im Sommer 1934 hat Alban Berg aus dem unvollendeten Musiktheaterwerk einzelne Abschnitte herausgelöst und zu einer Art Symphonie mit Singstimme zusammengestellt – in einem Formschema, das einem komprimierten Mahler’schen Werk der Gattung gleichkommt. Als »Große« C-Dur-Symphonie wird jenes kapitale Stück bezeichnet, mit dem Schubert mehr als zehn Jahre nach seinem Tod als Symphoniker in die Musikgeschichte eingehen konnte: Nach sechs unbekannt gebliebenen Jugendwerken und zahlreichen Fragmenten war es ihm mit diesem fulminanten Debüt gelungen, in dem von Beethoven definierten Genre formal wie inhaltlich etwas grundlegend Eigenes zu schaffen. Joana Mallwitz ist der große Durchbruch spätestens bei den Salzburger Festspielen 2020 mit Mozarts »Così fan tutte« gelungen: Diese Dirigentin brennt ganz in Schumanns Sinn für Deutungen voller Leben, Kolorit, Bedeutung und Ausdruck.
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Alsop / Adams, Zimmermann, Haas
Adriane White

Chefdirigentin Marin Alsop
Marin Alsop, mit ihrem breiten, alle Aspekte romantischer und moderner Musik umfassenden Repertoire, lässt sich ungern als Spezialistin bezeichnen. Aber dass ihre Interpretationen und Aufnahmen von John Adams’ Musik kaum ihres Gleichen finden, darf man wohl sagen. Weswegen ein Abend mit Ikonen der europäischen Moderne die Ohren spitzen lässt: Bernd Alois Zimmermann vertritt die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, Georg Friedrich Haas den Beginn des Einundzwanzigsten. Umrahmt werden diese bei - den vom abwechslungsreichsten, am wenigsten einzuordnenden Komponisten der amerikanischen minimal music. Eben John Adams.
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Abschlusskonzert der Dirigent/innenklassen
Lukas Beck

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Seit vielen Jahren pflegt das RSO Wien seine Verbindung zur mdw, die mit Marin Alsop eine weitere Intensivierung erfahren hat. So begann die Chefdirigentin ihr Wiener Wirken im Oktober 2019 mit einer Veranstaltungsfolge, bei der die mdw als zentraler Partner gewonnen werden konnte: Dirigentinnenworkshops, Komponistinnen-Lectures und ein Podium zum Thema »50:50 in 2030. Gender equality in music«. Inzwischen hat Marin Alsop über die Tätigkeit beim RSO Wien hinaus eine Residency an der mdw angetreten und gibt regelmäßig Dirigierkurse im hochgelobten Institut am Anton-von-Webern-Platz. Herzstück aller gemeinsamen Projekte zwischen mdw und RSO Wien ist das alljährliche Abschlusskonzert der Dirigent/innenklassen der mdw. Seit 1997 dirigieren die besten Dirigentinnen und Dirigenten der mdw das RSO Wien alljährlich zum Ende ihres Studiums im Musikverein Wien. Für viele von ihnen bedeutet das den Beginn einer internationalen Laufbahn, allen voran für Kirill Petrenko, dessen kometenhafte Karriere bei jenem ersten, heute legendären Dirigentenabschlusskonzert anhob.
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